S T O R Y
»Seid ihr denn alle tot, geliebte
Bilder jener verzauberten Zeit?
Ja, ihr starbet, ihr welktet! Ich aber
Lebe, und wenn mir der nächst Sturm
Eure Asche vom Haupt und den
Schleier vom Herzen reißt
Funkelt die Krone, glühn alle Sterne neu
_______________________________________________von Hermann Hesse__
.Das Rudel, von dem wir erzählen, ist ein Altes, eines mit Tradition, mit Geschichte. Eines mit Geist. Schon über Jahrzehnte hinweg wurden die Reviergrenzen immer wieder frisch markiert. Alle paar Jahre erkannte man einen neuen Duft und ein neuer Alphawolf trat aus den Reihen der treu ergebenen Gefährten hervor. Jenes Rudel, man nannte sie die Gottbehüteten, vermochte jede Herausforderung zu meistern. Sie überstanden harte Winter und Hungersnöte, Epidemien und Seuchen, Brände und gar den silbrigen, tosenden Todesstäben der Menschen konnten sie entfliehen. Denn ihr Wald war es, der stets Unantastbar blieb, in den sie sich zurück ziehen konnten, neue Kraft zu sammeln vermochten. Über Generationen hinweg entwickelte sich so zwischen den einzelnen Gliedern des Rudels eine unbegreifliche, gar göttliche Verbindung des Vertrauens. Sie waren im Geiste eins geworden und pflegten eine wahrhaftig besondere Beziehung zu den Wolfsgöttern. Aber vor allem hatten sie diese klare Sicht, diesen Abstand zu allen Dingen und hoch geschätzt war ihre Meinung im Wald.
.Doch nicht ewig währte diese Blütezeit des Rudels. Denn an jenem, nur allzu schicksalhaftem Tag im Frühjahr, da kamen sie – die Menschen. Sie fällten Baum für Baum und jedes Mal, wenn ein solcher mit einem ungeheuren Knacken und Krachen zu Boden stürzte, hörte man den Wald vor Schmerz schreien. Zwei Monate lang ging es so, bis sie ihn vollends vernichtet hatte. Vereinzelt noch ragten Büsche aus der kargen Landschaft hervor, doch ansonsten gab es hier nichts außer den Geruch nach Tod und Verwesung. Denn mit den Seelen des Waldes, mit Bäumen, waren auch nur allzu viele Schützlinge dieser gestorben. Wo man auch hinsah. Unter den mächtigen Ästen der gefallenen Giganten sah man zerquetschte Leiber toter Vögel, Eichhörnchen oder Kaninchen hervorragen. Tag für Tag beteten die Wölfe, dass die Menschen nicht wieder kommen mochten. Doch es schien als habe der göttliche Geist sie verlassen. Denn ihre verzweifelten Gebete wurden nicht erhört. Und nur wenige Monde später kamen sie wieder. Kamen mit noch größeren Maschinen, mit noch mehr Lärm. Der Wald ward vollends vernichtet. Noch ehe man sich versah ragten riesige, kalte Bauten dem Himmel entgegen und dort wo einst Hirsche grasten, fuhren nun die tosenden, blitzschnellen Ungetüme der Menschen. Zwischen all dieser Architektur und den kreischenden Autos schien kein Platz mehr für das Rudel.
.Aber der Geist, der in ihren Seelen wohnte, er war noch nicht vollends erloschen. Und so rafften sie sich wieder auf. Sogen die verpestete Luft ein die vor dem Gestank der Abgase strotzte. Doch auch dies vermochte es nicht die Flamme ihres Herzens zu löschen. So kehrten sie in ihr altes Revier zurück, doch sie fanden nichts, was ihnen auch nur im Geringsten bekannt gewesen wäre. Der Geist des Waldes, er schien erstickt in der dreckigen Luft der Stadt. Da erkannten sie, dass das Leben, das sie kannten, ein Ende genommen hatte. Dass sie nun allesamt neu geboren werden mussten. Ganz von vorne beginnen.
_______________________________________________Dies scheint unser Leben zu sein__